Das Piemont – meine „Bergheimat“

1993 war ich zum ersten Mal im Piemont. Wenn ich vom Piemont schreibe, dann meine ich die italienischen Westalpen. Die Po-Ebene mit Turin als Hauptstadt und das südlich daran anschließende Hügelland mit so bekannten Orten wie Asti oder Alba kenne ich nur vom Durchfahren. Ich hatte im DAV Panorama vom GTA-Führer von Werner Bätzung gelesen und mir den quasi sofort besorgt. Die einsamen Gegenden, das Konzept eines sanften Tourismus und die Kombination aus Bergwandern und Italien, all das klang genau nach dem, was ich mir unter Wandern in seiner Idealform immer vorgestellt hatte.

Im oberen Maira-Tal

Zusammen mit Michael, den ich aus dem Studium kannte und Uwe, damals mein Mitbewohner in einer WG, heute mein Schwager, war ich dann im Mai 1993 über Nacht nach Susa gefahren. Das Auto durften wir im Hof eines Gasthofes in Meana die Susa abstellen, dann sind wir eine Woche lang erst nach Osten bis zum Santuario del Selvaggio, dann nach Süden und wieder nach Westen bis nach Usseaux gelaufen, und von da über den Colle del Finestre zurück nach Susa. Es war noch relativ früh im Jahr, die meisten Hütten waren geschlossen und in den höheren Lagen gab es noch reichlich Restschnee. Unser Weg folgte der alternativen Ostroute der GTA, die meist deutlich weniger begangen ist – sozusagen die kleine Stiefschwester der GTA: nicht so hoch, weniger spektakulär und oft deutlich länger als die alpinere Hauptroute. Der Weg war meist schlecht markiert und manchmal völlig verwachsen und quasi unauffindbar. Dafür unglaublich einsam, vorbei an verlassenen Weilern, rauschenden Wasserfällen und unglaublichen Blütenmeeren auf den Almwiesen. Wenn wir in einer der wenigen bereits geöffneten Hütten, in einem Posto Tappa oder einem kleinen Hotel übernachteten, war das jedes Mal ein kulinarisches Erlebnis. Ich war schockverliebt in „mein Piemont“.

Zeltplatz am Lago di Roburent, Sturatal

Die piemontesischen Alpen sind von einer starken Landflucht geprägt. Je weiter südlich man kommt, desto häufiger stößt man auf völlig verlassene Weiler und Ortschaften oder auf ehemalige Bauerndörfer, die jetzt noch von ein paar alten Leuten ganzjährig bewohnt werden. Viele Häuser sind zu Ferien- und Wochenendhäusern umfunktioniert worden – teils für die weggezogenen Einheimischen, teils aufgekauft von wohlhabenden Turinern, Schweizern oder Deutschen, in Tälern mit einem Übergang nach Frankreich auch von Franzosen.

Gerade die verlassenen Weiler haben einen ganz eigenen Reiz und das Wandern durch eine alte Kulturlandschaft, die jetzt wieder immer mehr verwildert, übt eine ganz eigene Faszination aus. Daneben findet sich richtiges Hochgebirge, das seinen Kulminationspunkt im Mon Viso findet, der mit über 3800 m Höhe als einsamer Riese alle anderen Gipfel weit überragt und dessen Besteigung einiges an bergsteigerischen Fähigkeiten verlangt (die ich nicht habe).

Die GTA

Die GTA ist der Versuch, in den italienischen Westalpen – im Gegensatz zur französischen Seite – überwiegend auf einen sanften Tourismus zu setzen. So gibt es kaum monströse Skizentren (abgesehen von Sestriere im Valle del Chisone und ein paar kleineren, halbherzigen Versuchen) und auch sonst bewegt sich die touristische Erschließung in einem überschaubaren Rahmen. Die GTA verläuft in einem weiten Bogen vom Lago Maggiore erst nach Westen, dann nach Süden und schließlich, südlich von Cuneo, noch ein Stück nach Osten. Dabei führt sie, oft in parallelen Routen, durch kleine, halb oder ganz verlassene Dörfer und versucht, der Landflucht entgegenzuwirken, indem sie über einen sanften Wandertourismus Verdienstmöglichkeiten für Gastronomie, Einzelhandel und Landwirtschaft schafft. In einzelnen Gebieten scheint das auch zumindest ansatzweise zu funktionieren.

Allerdings ist der gemeine Italiener an sich eher etwas lauffaul – mein Eindruck von der GTA ist, dass das in erster Linie eine deutsche und schweizerische Veranstaltung ist. Wenn man hier auf Wanderer trifft, die weiter als eine Stunde vom nächsten Parkplatz entfernt oder gar mehrere Tage unterwegs sind, so sind das meistens Deutsche oder ab und an ein Schweizer. Aber immerhin kommen doch einige Italiener zur Sommerfrische in die Berge (Ferragosto!) und schaffen so die Grundlage für die verbliebene oder auch neu entstandene Ökonomie.

Die GTA war immer mehr Anhaltspunkt für meine Touren hier als weggenaue Vorgabe, da die Gegend und das Konzept der GTA meiner Art zu Wandern eigentlich konträr gegenüberstehen: Die Täler in den italienischen Westalpen verlaufen überwiegend von West nach Ost. Die GTA (Grande Traversata delle Alpi) läuft von Süd nach Nord (oder von Nord nach Süd). Das macht es sehr umständlich, der GTA über eine längere Strecke zu folgen, wenn man mit dem Auto angereist ist und zum Ausgangspunkt zurück muss. Hat man dann für die Wanderung nur ein paar Tage Zeit, wird das fast unmöglich., dazu kommt, dass die GTA für Wanderungen von Posto Tappa zu Posto Tappa konzipiert ist. Nachdem die meisten Übernachtungsmöglichkeiten im Tal liegen, heißt das fast jeden Tag Aufstieg und Abstieg. Wir schleppen aber meist 15 kg (Gaby) bis zu 25 kg (ich) Gepäck mit uns herum. Da ist so ein Aufstieg schon ganz schön mühsam und man versucht, die einmal gewonnene Höhe wenn möglich über mehrere Tage zu halten. Mehr dazu unten, unter „Snailing„. Von daher hat uns bei unseren Wanderungen die GTA stets mehr als Anregung für die Planung meiner Routen gedient. Wobei wir immer wieder gern nach einer anstrengenden, mehrtägigen Wanderung für ein, zwei Tage in einem netten Posto Tappa einkehren und die hervorragende piemontesische bzw. weiter südlich die okzitanische Küche genießen. Meine Empfehlungen auf der Gastro-Seite…

Wer ohne Zelt die GTA wandern will, dem seien die hervorragenden Führer von Werner Bätzing empfohlen. Speziell im Valle Maira und im Valle Stura gibt es auch regionale Initiativen, die eigene Wanderwege eingerichtet haben und teilweise sogar Gepäcktransport für Wanderer anbieten.

Gastronomie

Nachdem die piemontesischen Alpen touristisch eher im Abseits liegen (siehe GTA) findet sich hier kaum eine auf den Massentourismus zugeschnittene Gastronomie mit Touristenmenü und italienischer Standardkarte oder Bettenburgen im Riministil. Vielmehr überwiegen kleine und meist einfachere Restaurants und Hotels, wobei sich das Niveau über die Jahre schon deutlich gehoben hat. Immer mehr junge, engagierte Gastronom/innen verbinden die bodenständige Gastlichkeit eines Berggasthofs mit einer ehrlichen, regionalen Küche mit hohem Anspruch an Qualität, Kreativität und Authentizität. Es gibt hier mittlerweile auch in gastronomischer Hinsicht viel zu entdecken.

Das Lou Pitavin

Seit ich mit Gaby unterwegs bin, pflegten wir nach einer mehrtägigen Wanderung meist ein paar Tage im Hotel anzuhängen. Inzwischen hat sich das Verhältnis umgekehrt: Nach ein paar Tagen im Hotel machen wir eine drei- oder viertägige Bergtour, bevor wir wieder einige im Hotel einkehren. Dabei war die Osteria delle Pace in Sambuco lange Jahre unsere Lieblingslokal/-hotel. Die perfekte Kombination aus einem sehr ordentlichen und gemütlichen Hotel, einer traumhaften Lage und einer wirklich fantastischen Küche hat uns von Anfang an begeistert.

Dessert im Lou Pitavin

Seit 2013 ist das Lou Pitavin in Marmora im Mairatal zu unserem Lieblingsort im Piemont geworden. 2013 wollte ich meinen 50. Geburtstag in Sambuco feiern und es hat nicht geklappt, weil die genau da für den Herbst geschlossen hatten. Also haben wir eine Alternative gesucht und sind im Lou Pitavin gelandet. Von der Lage her nicht ganz so schön wie Sambuco, da am Nordhang und im Wald, dafür aber die liebenswertesten Wirtsleute, die man sich vorstellen kann, eine überwältigende Küche und wunderschöne Zimmer. Mein Tipp: Einfach beide besuchen, Sambuco und Lou Pitavin…

Fauna

Die ganze aus den Zentralapen bekannte Faune und noch einige Tiere, die dort eher nicht zu finden sind, tummelt sich hier: Steinböcke, Gemsen, Murmeltiere, Steinadler, Vipern, Rotwild, Wildschweine, Füchse…

Steinbockkitz im Nebel

Mittlerweile haben auch die Wölfe hierher zurückgefunden. Vor einigen Jahren hatten Gaby und ich das große und sehr seltene Glück, einen leibhaftigen Wolf zu Gesicht zu bekommen.

Razza Piemontese – eine inzwischen in ganz Italien verbreitete Rinderrasse aus dem Piemont

Flora

Die stärkste Landflucht aller Alpen-Regionen und eine verhaltene touristische Erschließung sind offenbar hervorragende Voraussetzungen für traumhafte Almwiesen.

Die Alpenküchenschelle, meine Lieblingsblume in den Piemontesischen Alpen

Küchenschellen, Schachblumen. Krokusse, Wildtulpen, Enzian und Edelweiß und viele andere seltene und wunderschöne Blumen machen Wanderungen in den piemontesischen Alpen zu einem Traum für Blumenliebhaber. Vor allem um Pfingsten herum, im Frühsommer, wenn die Nordhänge oft noch unter Schnee begraben sind, sind die Almwiesen an den Südhängen die reinsten Blumenmeere.

Wilde Tulpe im Sturatal

Fotografie

Begonnen habe ich mit einer Kleinbildkamera mit Superzoom Ende der 80er Jahre – damals hieß das ein Zoom von 35 – 115 mm Kleinbildformat. Damit habe ich Dias gemacht. Irgendwann bin ich dann auf eine analoge EOS 500 Spiegelreflexkamera umgestiegen. Alle Dias sind mit 50er Asa Fuji Velvia aufgenommen.

2000 habe ich mir dann meine erste Digitalkamera gekauft. Ne Fujifilm – hat 2,4 auf 4.2 Megapixel interpoliert und damals ein Heidengeld gekostet. Anfangs habe ich immer noch beide Kameras mitgeschleppt, die Spiegelreflex und die Digitalkamera. Bis ich irgendwann gemerkt habe, dass die Dias immer länger ungerahmt rumliegen – war einfach immer so tierisch aufwändig und wenn man die digitalen Bilder schon längst gesehen hatte, war die Motivation, noch Stunden mit der Verarbeitung der Dias zu verbringen, meist nicht mehr so groß.

Konsequenterweise haben Gaby und ich uns dann 2004 eine EOS 300D gekauft. Seitdem fotografiere ich ausschließlich digital. Auf der Website sind daher Bilder von sehr unterschiedlicher Qualität zu finden: Gescannte Dias, Bilder von der alten Fuji-Digitalkamera, Bilder, die mit der EOS 300D und später mit der 50D gemacht wurden und mittlerweile auch Bilder von meiner EOS 5D Mark III und meiner DJI Mavic 2 Pro Drohne.

Karten, Literatur und Webseiten

Karten
Natürlich gibt es heute GPS und digitale Wanderkarten und Apps, nichtsdestotrotz finde ich eine Wanderkarte nach wie vor die beste Option für die Routenplanung und die Gesamtübersicht während einer Tour. Bis vor einigen Jahren waren nur 1:50.000er Karten des IGC erhältlich. Mittlerweile finden sich auch brauchbare Karten im Maßstab 1:25.000, was die Übersicht beim Wandern deutlich verbessert. Über Freytag und Berndt können beispielsweise die recht ordentlichen Karten von Franternali bestellt werden. Mehr dazu siehe unten beim GTA-Web von Jörg Klingenfuss.

Bücher
Hier gilt vor allem der Name Werner Bätzing. Seine Führer sind das beste, was man zur GTA an praktischen Wanderführern kriegen kann. Mittlerweile erscheinen die beim Rotpunktverlag, Zürich und sind auch noch sehr hübsch und mit schönen farbigen Bildern aufgemacht. Weitere Literatur bei Jörg Klingenfuss.

GTA-Web von Jörg Klingenfuss
Die Gletscherhorn ist keine Piemont-Info-Seite, dazu fehlt mir die Zeit und auch der professionelle Anspruch. Für umfassende Informationen gibt es die Seite GTA-Web von Jörg Klingenfuss. Manchmal ein wenig unübersichtlich und chaotisch, aber mit unglaublich vielen Informationen und Details. Jörg Klingenfuss engagiert sich in der Initiative Pro Rimella und organisiert geführte Wanderungen im oberen Sesiatal südöstlich vom Monte Rosa – zumindest war das so, als ich diesen Artikel in den frühen 2000er Jahren ursprünglich verfasst habe. Auf dem GTA-Web findet man einen Überblick über Karten und Führer und auch eine (etwas seltsame) Liste mit Links auf andere Webseiten. Allerdings kann ich mich der Meinung von JK zu den Karten nicht anschließen: meiner Ansicht nach sind die Karten des IGC nicht „bestens bewährt“ sondern lediglich die einzig verfügbaren und dabei gar grauslig schlecht. Schwer verständlich ist mir auch die Aussage, dass die Karten mit 1:50.000 den idealen Maßstab für Weitwanderer haben sollen. Meiner Ansicht nach sollte eine Wanderkarte im hochalpinen Gelände den Maßstab 1:25.000 haben. Vor allem, wenn JK gleich im nächsten Absatz darauf hinweist, dass abseits der GTA Wanderwege „meistens falsch“ eingezeichnet sind und dann von „Lebensgefahr“ spricht.

Der Absatz über die Karten ist inzwischen ziemlich überholt. Es gibt mittlerweile gute Karten, auch im Maßstab 1:25.000 von verschiedenen Herausgebern.

Ich tu mich etwas schwer damit, das GTA-Web von Jörg Klingenfuss zu empfehlen – jeder, der sich im Internet bezüglich GTA informieren will, wird kurz oder lang über diese Seite stolpern. Man kann hier unglaublich viele Informationen finden, allerdings ist die Seite teilweise sehr chaotisch, dann wieder recht stark geprägt von Werbung in eigener Sache und wenn JK Tipps gibt, wird’s meiner Ansicht nach manchmal sehr subjektiv.

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